„Stand der Technik“ – Wie ein Begriff die zirkuläre Weiterentwicklung behindern kann

Veraltete Verbandsstrukturen und Angst vor Investitionen verhindern Umweltschutz in der Feuer-Verzinkungsbranche

Die Corona Krise verändert gerade die Sicht auf unser Leben. Was ist wirklich wichtig zum Überleben von Industriegesellschaften? Die EU-Kommissarin Ursula von der Leyen hat in ihrem Circular Economy Package explizit vorgesehen, dass alle Spielregeln, die neu erfunden werden, sich an den „Best Available Technologies“ ausrichten. Mit der Vorstellung des „Masterplan for a competitive transformation of the energy intensive industries, enabling a climate neutral Circular Economy by 2050“ durch die EU Kommission Anfang dieses Jahrs gilt diese Forderung auch für die deutsche Industrie. Die Erkenntnis, dass eine konsequente Circular Economy maßgeblich zum Klimaschutz beiträgt, setzt sich damit durch. Dem entgegen stehen in der deutschen Industrie alteingesessene, mächtige Verbände und Lobbyvereinigungen, die ihre nicht unerhebliche politische Macht viel zu oft dafür einsetzen, Veränderungen zu verhindern. Die noch nicht verstanden haben, dass jeder beim Umwelt- oder Klimaschutz eingesparte Euro ihnen teuer zu stehen kommt.

Ein gutes Beispiel für diesen Sachverhalt sind Werke der Verzinkungsindustrie, die zu Wiegel, Seppeler oder Zinkpower gehören. Dort werden durch geschlossene Anlagen mit Absaugung und Abgasreinigung von so genannten Vorbehandlungslinien seit über zwei Jahrzehnten die Mitarbeiter ebenso geschützt wie die Umwelt. In anderen Werken des Wettbewerbs nicht. Wie kann das sein?

In Deutschland gibt es etwa 147 Verzinkereien, die rund 4.800 Menschen beschäftigen und einen Umsatz von rund 760 Mio. Euro erzielen. Im Jahr 2017 wurden 110.000 Tonnen Zink für das Stückverzinken von ca. 1,9 Mio. Tonnen Stahl eingesetzt. Die größten Anlagen verfügen über Verzinkungskessel mit einer Länge von 19,5 Metern.

Die oben genannten Unternehmen der Verzinkungsindustrie versuchen schon seit längerem über das Umweltbundesamt im Rahmen der Überarbeitung der den „Stand der Technik“ definierenden europäischen Richtlinie eine Veränderung des „Stands der Technik“ bzw. der geltenden VDI-Richtlinie 2579 zu erreichen. Diese Richtlinie stammt aus dem Jahr 1988, sie wurde seitdem nicht verändert und regelt die Arbeit mit offenen Säurebädern. Emissionsmessungen sind nicht vorgesehen, Grenzwerte nicht festgelegt. Nach Stand der Technik ein völlig unakzeptabler Zustand für Arbeits- und Umweltschutz. Doch eine Änderung der Richtlinie ist seitens der zuständigen Behörden und Gremien zurzeit nicht vorgesehen.

Auch bei dem auf europäischer Ebene vorliegenden Entwurf des Dokuments „Best Available Techniques (BAT) Reference Document for the Ferrous Metals Processing Industry“ entsprechend der „Industrial Emissions Directive 2010/75/EU (Integrated Pollution Prevention and Control)“ fehlen Vorgaben an entscheidender Stelle, um Einhausung, Absaugung und Abgasreinigung in der Verzinkungsindustrie, gerade auch für die Säurebäder bei der Vorbehandlung, verpflichtend einzuführen.

Dem gegenüber stehen die Erfahrungen zum Beispiel der Wiegel Gruppe, die bereits 1991 begonnen hat, Verzinkungs- und Vorbehandlungslinien einzuhausen und seit 2001 alle neuen Vorbehandlungslinien mit Luftwäschern ausstattet. Die Effekte sind enorm. Einsparungen beim Energieträger Erdgas von 500 Tausend Euro pro Jahr und 500 Tausend Euro bei der Deponierung von Sondermüll verblassen fast gegenüber 3,5 Millionen Euro Einsparungen beim Rohstoff Zink und damit 8000 Tonnen CO2 pro Jahr. Mit konsequenter Ökologie wurde die Ökonomie nachhaltig verbessert.

Um dies zu erreichen, wurden keine millionenschweren Forschungsaufträge vergeben oder neue, bahnbrechende Techniken entwickelt. Gesunder Menschenverstand und die Bereitschaft, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen waren zusammen mit dem Stand der Technik ausreichend, um einschneidende Verbesserungen für die Umwelt, den Arbeitsschutz und die wirtschaftliche Situation des Unternehmens herbeizuführen. Der Grundsatz „Es gibt kein Limit für Innovationen“ dokumentiert ein preiswürdiges Verhalten in einer Branche, die sonst eher an Investition in Innovation spart.

Lessons learnt?

In Deutschland, in Europa und weltweit treten wichtige Vorhaben und Projekte gerade in den Hintergrund, bis die Pandemie bewältigt ist. Heute gibt es noch keinen seriösen Termin, doch irgendwann wird die Krise zu Ende sein. Dann ist das Klimaproblem immer noch ungelöst und die Klimakrise wird mit der nächsten Unwetterkrise wieder unser Bewusstsein für das Thema schärfen. Es ist unsere Aufgabe, die Zeit zu nutzen, bis dahin die veränderten Voraussetzungen zu schaffen, um in der Krisenbewältigung besser zu werden. Unser Verhalten beeinflusst die Umwelt und das Klima direkt und unmittelbar, das haben wir in der Corona Krise erlebt. Das heißt aber auch, wir können direkt und unmittelbar etwas ändern.

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