Paradigmen im Wandel
Aktuell erleben wir große Veränderungen: Der Klimawandel, die Digitalisierung, Erfahrung mit einer Pandemie und Wetterereignisse, die ganze Landschaften zerstören, wie zuletzt im Ahrtal lassen uns an Leib und Seele spüren, was Veränderung bedeutet. Donella Meadows hat beschrieben, wie sich in Zeiten von Veränderung auch grundsätzliche Vorstellungen der Menschen darüber, wer wir in dieser Welt sind, stark verändern. Sie beschreibt mit „Transcending paradigms“ die Veränderungen von gesellschaftlich verankerten Haltungen, die auch die größten Hebel im Wandel von Systemen sind. Maja Göppel hat darüber geschrieben und mit „Great Mindshift“ eine Zusammenfassung dringender Veränderungen und notwendiger Grundhaltungen beschrieben.
Damit ist klar: Die geänderten Haltungen verändern die Grunderzählungen unseres Daseins. Sie definieren die Verhältnisse Mensch zu Mensch, Mensch zur Natur, Mensch zur Technik, von Kultur und Identität. Wir schauen uns diese Paradigmen daher näher an:
Kultur als Gewohnheit
Kultur galt lange als Ausdruck von Zivilisation und damit Ausdruck einer Antithese zur Barbarei, zum Wilden, zum ungeordneten Leben von Menschen in anderen Regionen der Erde. Kultur wurde dabei an Traditionen zu verhaltenstypischen Dingen wie Ernährung, Arbeit, Bildung von familiären Strukturen, Bildung und anderer sozialer Komponenten eingeordnet. Der Kulturwissenschaftler Prof. Terry Egleton macht deutlich, was die bisherige Definition zum „Guten der Kultur“ als Leitbild formulierte und stellt sie genau deshalb fundamental in Frage. Wenn Kultur nur eine Gewohnheit sei, sei aber das Paradigma Kultur selbst in Frage gestellt.
Was wir als neues Paradigma sehen, ist dass die Debatte über das, was Kultur ist, nun wissenschaftlich als Gewohnheits-Beobachtung neu aufgerollt wird. Behavioral Economics spielen deshalb für die Circular Economy eine wichtige Rolle.
Identität als Narrativ des Ich
In der vorangegangenen Epoche der Vormoderne war Identität eine Funktion von festgelegten Rollen und eines traditionalen Systems von Mythen, die Orientierung und religiöse Sanktionen boten (Kellner, 1992). Zudem war Identität unproblematisch und nicht Gegenstand von Reflexion oder Diskussion. Individuen durchlebten keine Identitätskrisen, noch änderten sie radikal ihre Identität. Der Terminus „Identität“ wurde erst dann und in dem Maße bekannt, wie die Bildung von Identität massenhaft zu einem Problem wurde. Dies passiert vor allem vor dem Hintergrund einer Auseinandersetzung der Religionen. Zygmunt Bauman stellt 1997 fest: „Identität kann nur als ein Problem existieren, sie war von Geburt an ein Problem, wurde als Problem geboren …“
Die narrative Psychologie nach Mancuso und Hevern geht davon aus, dass wir unser ganzes Leben und unsere Beziehung zur Welt als Narrationen gestalten. Wir träumen narrativ, tag-träumen narrativ, erinnern, antizipieren, hoffen, verzweifeln, glauben, zweifeln, planen, revidieren, kritisieren, konstruieren, klatschen, hassen und lieben in narrativer Form.
Insofern handelt es sich bei der Narration nicht um einen Lebenslauf, den man – nicht allzu häufig – schreibt und fortschreibt, sondern um einen grundlegenden Modus der sozialen Konstruktion von Wirklichkeit. Narrationen sind dabei in soziales Handeln eingebettet und werden über Social Media kommuniziert. Unsere Identität entsteht als Narrativ des Ich.
Natur als Partner
Das Verständnis, die Welt mit Technik beherrschen zu können, herrscht seit der Einführung „göttlicher Mathematik“ im Mittelalter vor. Über dem Menschen stehe nur Gott, diejenigen, welche ihm am besten dienen, stehen in der Hierarchie über den Schäflein, die es zu hüten gibt. Danach ist Natur eine Ressource, die genutzt werden darf. Aber sie hat keine eigene Rolle oder Vertretung im Dasein. Heute sprechen WissenschaftlerInnen auch von Naturvergessenheit. Wir Menschen nehmen uns nicht als Element natürlicher Systeme wahr, weil unsere Prägung über Jahrtausende vom Bild des Homo Deus geprägt war, der die Welt und die Zukunft nach dem Beispiel Gottes gestaltet.
Dieses Verständnis wird aktuell abgelöst, durch die Erkenntnis der Beschränktheit eigener Erkenntnisfähigkeit (Wissenschaftskritik) und globaler systemischer Veränderungen, wie dem Klimawandel.
Ein Beispiel ist das Werk „Life is a connected phenomenon – thinking alongside Lynn Margulis”, veröffentlicht in den Critical Zones des ZKM, Karlsruhe oder durch Darstellung der Symbiogenese des Menschen in der Natur nach Lynn Margulis.
Die Systemtheorie stellt den Menschen als ein Element unter vielen lebenden Elementen auf dem Planeten Erde und im Universum da und setzt Menschen in Verbindung zu allen anderen systemischen Funktionen und Elementen. Dies Verständnis findet sich jetzt in vielen Theorien wieder:
So im Designprinzip der Circular Economy Cradle to Cradle, in der Theorie der Permakultur, in Theorien zu Symbiogenetischen Entwicklungen, beim Regenerativen Design, der Theorie der Regenerativen Stadt oder Transition Towns. Sie alle verfolgen den Anspruch, Kreisläufe aus für Mensch und Umwelt unbedenklichen Stoffen aufzubauen und lokale Ökosysteme zu regenerieren.
Mensch als Mitwesen
Der Film „Earthlings“ hat als Kassenschlager gezeigt, wie der Mensch mit anderen Spezies auf der Welt umgeht. Es wird schonungslos gezeigt, wie wir industriell Fleisch produzieren und hat die Bewegung des Veganismus und Vegetarier stark beeinflusst. Der Begriff Speziezismus wird analog zu Sexismus oder Rassismus verwendet. Jane Goodell hat mit Ihrer wissenschaftlichen Karriere über die Erforschung von Primaten und persönlicher Empathie gezeigt, wie ein neues Verhältnis zwischen Menschen und Mitbewohnern des Planeten Erde aussehen könnte. Der Mensch als Mitwesen auf diesem Planeten bildet diese Erzählung ab. Insbesondere ihr Nachweis, dass der Mensch nicht das einzige Wesen ist, welches Werkzeuge gebraucht, reflektieren kann und Gefühle hat. Sie hat dies bei Primaten nachgewiesen und sie revolutionierte damit das Paradigma des Menschen ein „besserer Earthling“.
Innovation for purpose
Innovation fand bisher in ausgewählten Kreisen von Innovatoren, Geldgebern statt. Mäzenatentum wendete sich ausschließlich Fürsorgefragen zu. Heute geht der Trend zu Selbsthilfe, der Selbstwirksamkeit und dem Stärken von Stärken, also dem „Empowerment“. Die Suche nach besseren Systemen in allen gesellschaftlichen Schichten hat begonnen. Das GUTE LEBEN wird beschrieben und beschworen und die Sicherung der Lebensgrundlagen steht über allem. Die Methoden des Design Thinking und Systemic Thinking gelten hier als Treiber von Innovation, die globale Probleme löst, anstelle weiterer Probleme zu kreieren. Der Rolle der Gesellschaft (Civil Society) kommt hier eine besondere Bedeutung zu, diesen Prozess von innen voranzutreiben. Die Circular Society Community adaptiert bereits die Elemente aus den vorgenannten Paradigmen und integriert sie in ihr Konzept.
Gesellschaft ist Kommunikation – No cloud/cloud only
Digital Natives betrachten Ihr Mobiltelefon als emotional technisches Bindeglied zu anderen Mitgliedern der Gesellschaft, mit denen sie ständig distanzlos kommunizieren können. Systemdenker Luhmann beschreibt Kommunikation als Verbindung, die Gesellschaft herstellt. Hier liegt die systemtheoretische Betrachtung zu Grunde, dass die einzelnen Elemente der Gesellschaft (Individuen, Organisationen, Verwaltung etc.) miteinander kommunizieren müssen. Dabei sind Regeln, Gesetze und Normen auch Bestandteil von Kommunikation, welche die Verbindung herstellten. Bei Kommunikation geht es nicht nur um Sprache und Verständnis, sondern um den Kontext der Regel, mit der die Kommunikation verstanden und beantwortet wird, z. B. auch durch Verhalten und Nicht-Verhalten. Luhman sagt: Nicht die einzelnen Individuen mit Ihren Charakteristika, sondern ausschließlich die Form der Kommunikation der Gesellschaft „Sind“ Gesellschaft. Dieses neue Verständnis des eigenen Seins als Kommunikator in Systemen (Blasen, Bubbles, Clouds) verändert bereits heute Verhalten. Insbesondere da auch mit den negativen Effekten fehlgelaufener Kommunikation umgegangen werden muss (Stalking, Datenmissbrauch, Gesichtsverlust etc.). Denn heute stehen nicht nur „Promis“ in der öffentlichen Kommunikation, sondern alle, die sich im Internet und auf Social Media bewegen.
Wie spricht ein Baum? Dies ist eine naturwissenschaftliche Frage und sie wird z. B. durch Erkenntnisse aus der Biochemie beantwortet. Sprache drückt sich hier in Prozessen nach Regeln der Natur aus, die durch Mathematik, Physik, Chemie uva. beschrieben werden können. Die Regel mit der ein alter Baum z. B. einen jungen Baum mit Traubenzucker über das Wurzelwerk versorgt, wird so als Kommunikation bezeichnet. Woher weiß der Baum, dass er seine Wurzeln für diesen Zweck mit dem jungen Baum verbinden muss? Das ist noch nicht geklärt. Die Sprache der Bäume und der Natur braucht noch viele Dolmetscher.
Das verändernde Paradigma, dass Gesellschaft sich an Regelwerken definiert wird also abgelöst durch ein Systemverständnis, in welchem die Elemente des Systems zur Selbstordnung fähig sind, weil sie darüber kommunizieren.
Gesellschaftsvertrag neu schreiben – best collaborators will win
Darwins These, dass der Stärkere der Gewinner im Überleben sei, ist überholt. Die Biologie, Ökologie, Verhaltenswissenschaften und Psychologie haben bewiesen, dass die „Stärke“ eines Siegers in Systemen aus sämtlichen Systemfunktionen erwächst. Die Erkenntnis der Systemdenker zeigt: „Best collaborators will win“. Insbesondere im Bereich der Entwicklungswissenschaften und der Entwicklungsökonomie setzt sich diese Erkenntnis durch. Die Suche nach Methoden der besten Kollaboration (Netzwerke, Prozessorientierung, etc.) hat begonnen.
Performance Economy und Economy of Commons
Das Wachstumsparadigma ist überholt, makroökonomische Gleichgewichtsmodelle haben ausgedient, Ressourcenendlichkeit und die Bedeutung öffentlicher Güter (Klima, Umwelt) und sozialen Ausgleichs zum Erhalt von Frieden und Sicherheit haben an Bedeutung gewonnen. Die neue Ökonomie im Ausgleich der Ökologie hat neue Namen.
Das Projekt CRESTING fasst alle Theorien der sich neu entwickelnden Circular Economy zusammen. Wir haben es in einem anderen Blog behandelt, Sie finden ihn hier.
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