Literaturtipp – Ökonomie(n) mit Zukunft

Jenseits der Wachstumsillusion

Reinhard Loskes Essay „Ökonomie(n) mit Zukunft. Jenseits der Wachstumsillusion“ beantwortet zentrale Fragen für geeignete Annahmen einer nachhaltigen ökonomischen Theorie. Er löst manchen theoretischen Konflikt um Begriffsfindungen alternativer Wirtschaftstheorie oder zur Wachstumskritik, den es innerhalb von grünen Ökonom*innen und Politiker*innen gibt, auf. Zuletzt hat die Heinrich-Böll-Stiftung angeregt, bundesweit Schulungen zu pluraler Ökonomik anzubieten um eine Klarstellung zu pluralen Ansätzen zu bieten. Sie kommt damit dem Gedanken Loskes und nicht zuletzt auch des Bundeswirtschaftsministers nach. Denn Robert Habeck betont immer wieder: „Es geht darum, dass man geschlechtliche, ethnische, Herkunfts- oder Bildungsidentitäten nicht jeweils verabsolutiert, sondern in eine plurale, auf gemeinsamen Werten und gemeinsamen Spielregeln beruhende Gesellschaft übersetzt.“[1] Wirtschaft ist ein Teil von Gesellschaft, dazu sagt Habeck: „Da aber viele Positionen der emanzipatorischen, liberal-grünen Bewegung mittlerweile mehrheitsfähig geworden sind, brauchen wir nicht mehr so auf eine höhere Wahrheit zu pochen – und tun es auch nicht mehr.“[2] Er orientiert damit, aber er erklärt nicht, was das jetzt eigentlich genau heißt oder wie er zu dieser Aussage kommt – abgesehen von der realpolitischen Notwendigkeit sie auszusprechen.

Vor diesem Hintergrund macht es Sinn, sich die Argumente Loskes genau anzuschauen. Sie bilden die Grundlage, nicht zuletzt für die in der Bundesregierung durch Bündnis 90/Die Grünen vertretene Wirtschaftspolitik. Der Argumentationsstrang bietet auch eine Erleichterung für die Vertretung von realpolitisch umzusetzenden Maßnahmen, die nicht immer jedem gefallen. Und wem das nicht reicht, der kann in Loskes Argumente in den vorhergehenden Teilen der Trilogie nachlesen. Voraus gingen „Abschied vom Wachstumszwang. Konturen einer Politik der Mäßigung“ (2010) und „Wie weiter mit der Wachstumsfrage?“ (2012).

Die Wachstumstheorie ist keine Moraltheorie

Moraltheorien können sich aber pluraler Ansätze bedienen

Das Kernargument Loskes ist die Aufklärung über ein großes Missverständnis, welches in unserer Gesellschaft weit verbreitet ist. Wirtschaftswissenschaften werden als abstrakte rationale, mathematische Wissenschaft betrachtet, mit der wir unser Handeln beim Produzieren, Tauschen und Konsumieren ausrichten. Der gegenwärtige lineare Wohlstandkapitalismus hat sich jedoch rational etabliert, dabei wurde die Ökonomie bis in das 19. Jahrhundert als Teil der Moralwissenschaft angesehen (S. 36). Dazu zählte das Einhalten ethischer Prinzipien, wie bspw. die Bekämpfung von Leid, Hunger, Ungleichheit und Unwissenheit. Erst mit der Industrialisierung und Globalisierung änderte sich diese Sichtweise und mutierte zur Wachstumstheorie, weil nie alles Erreichte ausreichte. Es wird Zeit, dass wir uns daran erinnern und zu moralischen Werten zurückzufinden.

Wie kann die Mainstream-Ökonomie und das Ende des stetigen Wachstums jedoch aussehen? Das beantwortet Loske in seinem Essay. Seine Empfehlungen lauten:

  1. Ein alternatives, sozial-ökologisches, globalisierungs-, finanzmarkt- und wachstumskritisches Denken ist notwendig. Unsere Gier nach Wachstum und Wohlstand hat dazu geführt, dass wir der Erde jedes Jahr enorme Mengen an Ressourcen entnehmen und dabei die Umwelt zerstören. Wir haben es so weit getrieben, dass eine Umkehr bald nicht mehr möglich sein wird. Immer mehr klimatische Kipppunkte drohen zu kippen (Global Tipping Points-Report), während einige planetarischen Grenzen bereits erreicht sind.
  2. Eine neue Ökonomie der Nachhaltigkeit und eine sozial-ökologische Transformation der Wirtschaft muss schnellstmöglich erfolgen. Hierbei ist nicht relevant, ob sie Postwachstum, grünes Wachstum, Suffizienpolitik, sozial-ökologische Transformation, kooperative Wirtschaft, grüne Wirtschaft, Gemeinwohlökonomie, ökologische Ökonomie heißt oder mit einem anderen Namen versehen wird (S. 46). Loske geht davon aus, dass es in jedem Fall eine Transformation aufgrund der sich ändernden Umweltbedingungen geben wird. Er sieht drei Kräfte, um den Weg zur Nachhaltigkeit zu beschreiten und sie werden zentral sein: Leid, 2. Zwang und 3. Perspektive (S. 10f.).
  3. Kooperation, Pluralität und Diversität sind für Loske zentrale Schlüssel zum Ziel (S. 61): Indem Politik, Technologie, Wirtschaft und Gesellschaft zusammenarbeiten und sich gemeinsam den Herausforderungen stellen kann es mit „[…] Handlungswillen, Wandlungsbereitschaft, Konfliktfähigkeit gegenüber Beharrungskräften und auch einem hohen Maß an Zuversicht, Experimentierfreude und Unternehmungslust“ (S. 34) gelingen.
  4. Das Ziel der Nachhaltigkeit wird mit der entsprechenden Agenda formuliert, aber der Weg dahin ist unklar. Das schafft Unsicherheit, dennoch kann die Tatsache nur akzeptiert werden, dass wir Teile von systemischen Entwicklungen sind. Seine Ausführung dienen auf dieser Reise als Orientierung, wenn er betont, dass moralische Bausteine wie Verantwortungsübernahme, Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit, Fairness und Fantasie für kreative Lösungsleistungen die Basis der Moralökonomie sein müssen.

Wenn man Loskes Essay liest, wird einem klar, dass es eine andere Welt geben kann. Eine Welt, in der eine plurale Ökonomie innerhalb der planetaren Grenzen möglich ist und in der die Menschen gemeinsam agieren und die Natur nutzen, statt sie auszunutzen. Doch dazu ist ein Wandel notwendig. Das Ziel steht fest: Eine Ökonomie mit Zukunft. Und so muss sich jeder die Frage stellen: Will man am Ende ein Teil des Problems (Destruktivkräfte) oder ein Teil der Lösung (Produktivkräfte) sein? (S. 15)

[1] https://www.fr.de/kultur/timesmager/das-ganze-90168647.html

[2] https://jungefreiheit.de/politik/deutschland/2021/habeck-warnt-identitaetspolitik/

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