Homo Circularis – das Resultat einer Entwicklung
Über resiliente Erdlinge, Stewarts aller Dinge, die lieben, lernen und das gute Leben suchen
Die Circular Economy bietet bereits einige Antworten auf die Frage, wie in der Zukunft Wirtschaft funktionieren kann. Sie ist aber an vielen Stellen auch noch nicht komplett durchdacht. So fehlt es noch an der Definition eines Menschenbildes, das ihr zugrunde liegt. Wie müsste der Mensch sein oder handeln, wenn die Theorie der Circular Economy real wird? Wir wagen deshalb den Versuch der Formulierung, die wir dann logisch auch als Homo Circularis bezeichnen.
Aber bevor wir dieses Bild beschreiben, werfen wir noch einen Blick auf Menschenbilder, welche Grundlagen für andere Wirtschaftstheorien oder Gesellschaftsmodelle bildeten. Sie ermöglichen eine Abgrenzung. Sie lassen zu, dass wir das Menschenbild in einen historischen Kontext stellen und damit auch in die sich verändernden Paradigmen einordnen. Dieser Blogbeitrag bildet damit einen Einstieg ins Thema und ist eine Einladung, mit uns zusammen daran weiter zu arbeiten.
Ausgang bildete für uns Yuval Noah Harari. Er beschreibt in seinem 2015 erschienenen Buch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ die Entwicklung vom Homo Sapiens hin zum Homo Deus.
Harari erklärt darin, wie die menschliche Spezies die Erde erobern konnte und das Zeitalter des Antropozäns entstehen konnte. Der darin beschriebene Homo Deus besitzt quasi gottgleiche Fähigkeiten, mit denen er nicht nur schöpferisch, sondern auch zerstörerisch umgeht. Und Harari fragt zu Recht nach, wo vor lauter Schöpfungskraft des Homo Deus die Religionen und der Humanismus geblieben sind? Sind wir Menschen überhaupt noch fähig an etwas Gutes zu glauben, um auch gut zu handeln? Die Frage ist so grundlegend wie provokant, so generell und alt wie herausfordernd. Und die Beschreibung des Homo Deus bietet eine Grundlage zur Abgrenzung unseres Handelns und gelebten Menschenbildes zu einem neuen Narrativ.
Die Reihe von Menschenbildern, die bereits formuliert wurden, hilft uns bei der Entwicklung der Beschreibung eines neuen Menschenbildes. Der Homo Politicus wurde von Aristoteles beschrieben. Forscher wie Wolfgang Kullmann übersetzen dieses Menschenbild aus dem alten Griechenland als ein soziales, auf Gemeinschaft angelegtes Wesen. Das besondere sei, dass der Mensch selbst Gemeinschaften bilden kann. Andere Forscher und Interpreten von Aristoteles Werk wiederum legen Wert auf die Betonung der menschlichen Fähigkeit, politisch denken zu können. Vor dem Hintergrund der im damaligen Griechenland vorherrschenden zwei Gesellschaftsschichten, bestand die Herausforderung der Überbrückung der Unterschiede von Rechten, Chancen, Lebensmöglichkeiten und Konflikten. Die Gerechtigkeitsfrage war politisch gestellt. Das Ausgestalten gerechter Strukturen wurde zum Gegenstand der Gestaltung des Menschen und ist seither politischer Natur.
Das von Adam Smith entwickelte und durch Nutzentheoretiker weiter ausformulierte Bild des Homo Oeconomicus geht davon aus, dass der Mensch auf seinen Nutzen konzentriert handelt und entscheidet. Menschen gehen rational vor, dies ist auch ein Ergebnis der Aufklärung gewesen. Moral bildet dabei einen Kontext und Rahmen, in dem die Handlung vorgenommen wird. Dieses Menschenbild wird von Seiten alternativer Ökonomen kritisiert, da es gemeinwohlorientierte Wirtschaftsentscheidungen ausschließt, obgleich nachgewiesen ist, dass Menschen durchaus jeher im Sinne des Gemeinwohles entschieden haben. Dies hat ja schon Aristoteles feststellt, denn politisches Handeln ist an der Gesellschaft, also am allgemeinen Wohl orientiert.
Die Industrieökologie brachte den Homo Oecologicus hervor, der das Menschenbild eines perfekt ökologisch handelnden Menschen kreierte, aber wirtschaftliche Motivation und Gerechtigkeit nicht implizierte. Vor diesem Hintergrund entstand der Homo Sustinens. In diesem Menschenbild ist moralische Verantwortung ebenso bedeutsam, wie soziales Lernen, Altruismus, Kooperation und Kommunikation. Ökologie, Soziales und Gerechtigkeit stehen im Zusammenhang, bilden das Nachhaltigkeitsdreieck ab und verknüpfen sich so zu diesem Menschenbild.
Wir wollen auf dem Weg zum Homo Circularis berücksichtigen, wie sich Paradigmen aktuell verändern. Paradigmen beschreiben Glaubensgrundsätze verschiedener Beziehungen in Systemen wie die Beziehungen von Mensch zur Natur, von Mensch zu Mensch, von Mensch zu Technik und Identitätsfragen.
Naturvergessenheit
Im Antrophozän, also jetzt, in dem uns der Zusammenhang des menschlichen Handelns auf den Klimawandel bewusst wird, wird deutlich, dass wir die Natur nicht nur als Ressource sehen können, die ausgebeutet werden kann, wie dies für den Homo Deusbeschrieben ist. Die Wissenschaft kann uns zurück führen zur Natur und einem neuen Verständnis. Wir lernen aktuell, dass Tiere alle Eigenschaften besitzen, die in den alten Menschenbildern nur dem Menschen zugeordnet wurden. Tiere handeln auch sozial, sie haben Gefühle, drücken diese aus und sind rational – sie gehen auch strategisch vor und sie kommunizieren. Ferner erkennen wir, dass jedes noch so kleine Lebewesen eine Funktion im Erhalt der biologischen Kreisläufe hat, die unsere Lebensgrundlage bildet. Diese Erkenntnisse belegen, dass Mensch und Tiere Mitgeschöpfe auf dem planetarischen Raumschiff Erde sind. Dafür hat sich der Begriff Erdling oder auch Earthling bereits etabliert. Homo Circularis begreifen sich als Mitgeschöpfe.
Technik und Digitalisierung
Auch unser Verhältnis zu Technik ändert sich, wird gleichzeitig intensiver und bringt neue Abhängigkeiten mit sich, wenn sich der Mensch immer mehr mit ihr sogar physisch verbindet. Das individualisierte Handy ist hier eine Metapher für das was wir noch sehen: Menschen tragen technische Ersatzteile in sich, wie Herzschrittmacher oder Gehör- oder Sehnerv Implantate. Menschen machen sich selber zu Mensch-Technik-Hybriden, implantieren sich Schlüssel oder Zahlungschips in ihre Gliedmaßen. Sicher ist hier Interpretationsspielraum, wie diese physische Verbindung gesehen wird. Ist Technik Selbstzweck oder doch ein Hilfsmittel, um uns das Leben zu erleichtern? Das Feld zur Beantwortung dieser Frage ist offen. Wir legen uns hier gerne darauf fest, dass Homo Circularis Technik als Hilfsmittel anerkennen und nutzen.
Identität
Unser tägliches Handeln gab und gibt uns eine Identität. Wir sind, was wir tun. Einstudierte Verhaltensweisen, Tradition aus Religionen, die an Raum und Zeit geknüpft waren, prägten uns über Jahrhunderte. Schnelle Veränderungen unserer Umwelt und Verhaltensanpassungen durch Leben an anderen Orten, in anderen Kulturen verändern dann auch unser Selbstbild. „Wer bin ich?“ diese Frage stellt sich für jeden Menschen in einer Veränderung. Jedes Mal, wenn wir uns weiterentwickeln auch gezwungen durch eine Veränderung unserer Umgebung, brauchen wir eine Neudefinition unseres Selbst. Dies kann jeder nur selbst für sich finden. Das können uns Psychologen bestätigen. Und es ist die „Ich-Erzählung“, das individualisierte, eigene Narrativ, das uns ausmacht. Wie wichtig Narrative sind, wird in Zeiten von Social Media für Psychologen leichter beobachtbar und therapeutisch nutzbar. Und wir können diese Erkenntnis für die Selbsterzählung eines Homo Circularis auch nutzen, der sich auch selbst individuell erzählt, aber doch eine soziale kollektive Deutung für sich im Sinne des Mitgeschöpfes sieht.
Es gibt weitere Paradigmen im Wandel, so auch Genderfragen, Familienbilder, Demokratieentwicklung. Homo Circularis begreifen sich nicht als vorherrschend, sondern in einer diversen Gesellschaft als Element sozialer Systeme, wie es Systemtheorie auch abbilden kann. Die Kommunikation unter den Elementen ist dabei elementares Bindeglied und drückt sich auch in der Theorie Hartmut Rosas zur Resonanzbedürftigkeit des Menschen aus.
Wir halten fest, was uns auch bei verändernden Paradigmen aus der Erkenntnis früherer Menschenbilder weiterhilft:
- Menschen sind sozial und politisch – das lernen wir aus dem Homo Politicus.
- Menschen sind rational und nutzten dies zum (ökonomischen) Überleben – das lernen wir aus dem Homo Oeconomicus.
- Mensch wollen auch die Natur respektieren, das Lernen wir aus dem Homo Oecologicus.
- Menschen versuchen den Einklang aus sozialen, ökologischen und ökonomischen Zielen zu leben und sich moralisch zu verhalten – das lernen wir aus dem Homo Sustinens.
Aber was fehlt?
Das Streben des Menschen nach Perfektion in dem jeweiligen Menschenbild wirft Fragen nach dem Guten Leben auf. Was passiert mit einer ständig im Hamsterrad steckenden Gesellschaft, die in Depression, Stress, Zynismus und Frustration landet und vor lauter Überlebensperfektion das Glücklich sein vergisst? Kann sich der Homo Circularis mit Blick auf die Ergebnisse des menschlichen Strebens an o. g. Menschenbildern orientieren? Wir meinen nicht ganz. Und die Frage nach dem „Guten Leben“ über das was wirklich wichtig ist, ist bereits gestellt.
Als reflektierende und systemdenkende Subjekte werden Homo Circularis sich die Frage nach dem, was wirklich wichtig ist, immer wieder selbst stellen. Insbesondere dann, wenn wir Menschen etwas verlieren. Der Klimawandel wird für Verluste sorgen: Menschen verlieren ihre Heimat, weil sie nicht mehr bewohnbar ist, sie verlieren Hab und Gut, sie verlieren auf der Flucht und Suche zum Überleben auch Menschen die sie lieben. Besitz bekommt dann eine neue Bedeutung. So macht sich der Homo Circularis immer mehr zum Stewart von allem, was ihm eine Lebensgrundlage bietet: von Dingen, von der Natur, von Menschen…. Er wird es nutzen, aber auf den Besitz wird es ihm nicht mehr ankommen. Besitz rechtfertigt nicht per se Überleben geschweige denn ein gutes Leben. Das wird eine neue Erfahrung sein.
Homo Circularis müssen sich schnell an neue Umgebungen anpassen, deshalb bleibt ihnen nur schnelles lebenslanges Lernen. Und wenn sie ihren Kindern das Überleben sichern wollen, dann müssen sie ihr Wissen schnell weitergeben. Wenn wir schon bei Kindern sind. Was ist mit der Liebe und dem Gefühl? Die vorhergehenden Menschenbilder blenden das fast völlig aus und dennoch ist es Teil unserer emotionalen Intelligenz. Wir lernen vor allem aus emotionalen Erfahrungen. Der Homo Circularis ist emotional intelligent.
Wonach werden Homo Circularis suchen, wenn sie überleben? Sie suchen Entwicklungschancen. Diese ergeben sich aus sozialen, ökologischen und ökonomischen Möglichkeiten, Hilfs- und Nutzungsangeboten. Auf Opportunitäten kommt es also an. Der Homo Circularis, wird nach ihnen suchen.
Wir werden sehen, dass Homo Circularis auf ihrer Suche nach dem guten Leben, als Stewart auftreten und doch das tun werden, was Homo Sapiens schon immer taten: Lieben, lernen, lehren und zum Überleben schnell handeln. Sich also als resilient zu erweisen.
Cui bono?
Wem nützt das Bild der Homo Circularis? In Abgrenzung zum Homo Oeconomicus nützt es sicherlich der eignen Beruhigung zukunftsbesorgter Denker und alternativer Ökonomen. Denn unsere aktuelle menschliche Programmierung zur Nutzenoptimierung, hat uns über das Ziel hinausgeschossen, sonst gäbe es das Anthropozähn nicht.
Wenn wir fragen „Wem nützt der Klimawandel?“, dann ist aktuell deutlich, uns Menschen nützt er nicht, er bedroht uns existenziell. Aber vielleicht könnte die Erkenntnis über den Klimawandel uns doch etwas nützen?
Dazu gehört anzuerkennen, dass das darwinsche Paradigma eine Ursache der Klimabedrohung ist. Denn die Idee DES STÄRKEREN immer gewinnenden Homo Deus bot eine Legitimation für Geiz, Gier und Narzissmus, bei der Ausbeutung unseres Planeten. Es gibt DEN STÄRKEREN so nicht. Es gibt jedoch Systeme, die planetarisches Ausmaß haben. Weder kennen wir Menschen die Regeln des Planeten, noch können wir sie beherrschen, noch sollten wir uns anmaßen, das zu versuchen, was der Homo Deus versucht. Der Mensch ist nur ein Element in diesen Systemen.
Es ist also Zeit vom Paradigma Darwins endlich Abschied zu nehmen. Im Klimawandel werden diejenigen überleben, die darin gut sind zu kooperieren, schnell zu lernen und sich als emotional und sozial resilient zu erweisen. Vielleicht werden es die Homo Circularis sein, die sich an das Neue anpassen und überleben.
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